Geschichte
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Der Inhalt dieser Seite ist dem "Keys"-Magazin, Ausgabe vom August 2000, entnommen. Die Wiedergabe erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Vielen Dank dafür!

Wavetable-Synthese - Geschichte

Der Zeit voraus

Seit über 20 Jahren und aller Mode zum Trotz behauptet sich ein Synthese-Verfahren, das seinen Ursprung ausnahmsweise weder in den USA noch in Japan hat: die Wavetable-Synthese der verblichenen Hamburger Firma PPG.

Der Firmenname 'PPG', übrigens die Abkürzung für Palm Products Germany, hat einen ähnlich magischen Kultfaktor wie "Moog", "Oberheim", "Synclavier" oder "Fairlight". Seine bloße Nennung genügt, um Synthesizer-Freaks in einen Zustand sentimentaler Verzückung zu versetzen. Nicht ohne Grund: Mit PPG werden jene markant blauen Wave-Synthesizer verbunden, die wegen ihrer Klangvielfalt und ihres Charakters zur Legende wurden und die Musik der frühen Achtziger prägten. Viele Produzenten weltweit setzten die Synthesizer aus Hamburg ein, zahlreiche Alben renommierter Künstler aus dieser Zeit leben nicht zuletzt von den außergewöhnlichen Wave-Sounds.

Dass der PPG Wave gerade seine Wiedergeburt als PlugIn-Synthesizer erlebt, möchten wir zum Anlass nehmen, Sie im Folgenden ein wenig mit der interessanten und äußerst bemerkenswerten Geschichte der Firma PPG und ihres Gründers Wolfgang Palm bekannt zu machen.

Zurückgespult

Wir schreiben das Jahr 1974. Wolfgang Palm, als Organist in verschiedenen Hamburger Bands aktiv, ist wie viele seiner Kollegen von den aufkommenden Synthesizern begeistert. Da die Geräte aber sehr teuer sind, beschließt er, selbst einen Synthesizer zu bauen. Diesem Vorhaben kommt das gerade abgeschlossene Ingenieursstudium sehr zugute, und so dauert es nicht lange, bis Palm tatsächlich seinen ersten Synthesizer fertiggestellt hat - ein Modularsystem. Begeistert vom Synthesizerbau und nicht willens, sich als angestellter Ingenieur mit der Entwicklung schnöderer Dinge zu beschäftigen, macht sich Palm selbstständig und gründet die Firma PPG.

Da aber das Modularsystem sehr teuer und nur bedingt bühnentauglich ist, entwickelt Palm einen weiteren Synthesizer, den PPG 1002: Ein deutlich erschwinglicherer Kompakt-Synthesizer, analog und einstimmig, seine klassische Architektur orientiert sich am beliebten Minimoog. Bald darauf erscheint die Weiterentwicklung, der PPG 1020. Dabei handelt es sich um den ersten Synthesizer überhaupt, dessen Oszillatoren mit digitaler Technik arbeiten - und das zu einem Zeitpunkt, an dem die meisten Musiker bestenfalls etwas von Digitalweckern gehört hatten. Wolfgang Palm empfindet die analoge Klangerzeugung offenbar als unbefriedigend und konzentriert sich daher voll auf die Digitaltechnik. 1976 kommt ein weiterer PPG-Synthesizer auf den Markt, und auch diesmal ist es eine Innovation: Der PPG 1003 Sonic Carrier ist der erste Synthesizer, der das Abspeichern einmal gefundener Klang-einstellungen erlaubt, zudem ist er nicht meh r monophon, sondern zweistimmig spielbar.

Ende 1978 schließlich erscheint mit dem Wavecomputer 360 der erste polyphone Digital-Synthesizer. Der Wavecomputer 360 ist komplett digital aufgebaut, wahlweise vier- oder achtstimmig und bietet 70 Speicherplätze für eigene Klangkreationen. Neben der Besonderheit, jede Stimme mit einem anderen Sound spielen zu können, bietet dieses Instrument zum ersten Mal auch die berühmten PPG-typischen Wavetables.

Die Grundidee hinter den Wavetables ist ebenso einfach wie genial: Ein typischer Analog-Synthesizer bietet einige wenige Ausgangswellenformen, deren Obertongehalt durch ein nachgeschaltetes Filter reduziert werden kann - auf mehr oder weniger immer gleiche Weise, denn ein Tiefpassfilter beschneidet nun mal die Höhen und ein Hochpassfilter die Bässe. Die Wavetables (siehe auch Kasten zur Technik der Wavetable-Synthese) bieten demgegenüber einen wesentlich größeren Vorrat an Wellenformen an, nämlich jeweils 64 - bei den 30 Wavetables des Wavecomputer 360 ergibt das knapp 2.000 Wellenformen. Nun geht es aber weniger um diese große Zahl, als vielmehr darum, die Wellenformen eines Wavetables nacheinander abrufen, das Wavetable also dynamisch durchfahren zu können, denn dadurch werden Klangverläufe möglich, die mit einem Filter nicht realisiert werden können. Konsequenterweise verzichtet der Wavecomputer daher auf Filter und stellt die gesamte Klangformung diesem neu entwickelten "Wavescanning" anheim.

Sowohl dem Wavecomputer 360 als auch dem danach entwickelten System 340/380, das mehr an einen Industrie-Computer als an ein Musikinstrument erinnert, bleibt der kommerzielle Erfolg versagt. Einige Musiker wie beispielsweise Thomas Dolby sind von den neuen Klangmöglichkeiten zwar nachhaltig begeistert und setzen die Geräte intensiv ein, auf die meisten Musiker wirken die ungefilterten Digitalklänge des Wavecomputer aber zu fremdartig und ungewohnt. Der Verzicht auf ein Filter, wiewohl konzeptionell logisch und im Hinblick auf die vollständige Digitalisierung des Instruments wünschenswert, ist schlicht und ergreifend nicht mit den Klang- und Hörgewohnheiten der Tastenspieler von 1978 kompatibel: Wolfgang Palm ist seiner Zeit zu weit voraus.

Die Wave-Generation

1981 jedoch gelingt endlich der verdiente Durchbruch mit dem Wave 2. Dieser achtstimmige Synthesizer verbindet die weiterentwickelte Wavetable-Synthese des Wavecomputer mit analogen Tiefpassfiltern und kombiniert damit als erstes Instrument der Welt digitale Klangerzeugung mit analoger Bearbeitung. Der Wave 2 bietet zudem - anders als sein Vorgänger - eine gewohnt anmutende Bedienoberfläche mit zahlreichen Reglern. Kurzum: Das Instrument schlägt erfolgreich die Brücke zwischen der analogen und der digitalen Welt und wird ein Hit. Zu seinen zahlreichen prominenten Fans gehört unter anderem Anne Dudley, die später mit der Kult-Combo Art of Noise berühmt wird.

Auf der Musikmesse 1982 wird der Nachfolger des Wave 2, der Wave 2.2 vorgestellt. Dieser Synthesizer besitzt nun zwei Oszillatoren pro Stimme, einen integrierten Sequencer und natürlich auch Filter, ist aber vor allem nicht mehr nur ein Einzelgerät, sondern Teil des PPG-Systems.

Wichtigste Komponente dieses Systems neben dem Wave 2.2 ist das Waveterm, eine Computereinheit mit Bildschirm und Diskettenlaufwerken, die zum einen das Erstellen eigener Waves und Wavetables gestattet, ferner umfangreiche Sequencing-Möglichkeiten bietet und nicht zuletzt das Aufzeichnen von Samples ermöglicht, die dann in den Wave geladen und gespielt werden können - wohlgemerkt 1982, als für den einzigen sonst verfügbaren Sampler, den Fairlight, das Dreifache zu bezahlen ist.

Die serienmäßig midifizierte Weiterentwicklung des Wave 2.2 erscheint 1984 unter der Bezeichnung Wave 2.3. Während der Wave 2.2 jeweils zwei Sounds gleichzeitig zum Spiel anbietet, können mit dem Wave 2.3 alle acht Stimmen unterschiedliche Sounds verwenden, eine Möglichkeit, die besonders im Zusammenhang mit der Sample-Nutzung und dem Sequencing im PPG-System lohnend ist. Mit dem Wave 2.3 wird außerdem die Auflösung von 8 auf 12 Bit erhöht, die überarbeitete Version des Waveterm, das Waveterm B, ermöglicht nun das Aufzeichnen von 16-Bit-Samples. Zu den weiteren Komponenten des PPG-Systems gehören das PPG Processor Keyboard PRK, eine gewichtete Tastatur, die das anschlagsdynamische Spiel der Wave-Sounds gestattet und unter anderem einen erweiterten Sequencerspeicher besitzt, sowie die achtstimmige Expanderversion des Wave, die Expansion Voice Unit EVU.

Visionäres

Die Synthesizer von PPG sind ein eindrücklicher Beweis für das Genie und die Innovationsfreude Wolfgang Palms, das Ende der Fahnenstange war mit ihnen indes noch nicht erreicht. 1985 präsentiert PPG die Hard Disk Unit HDU, ein Gerät, das Samples auf Festplatte aufzeichnen und bis zu l0-spurig von ihr wiedergeben kann - zu einer Zeit, als MIDI-Sequencing gerade im Entstehen ist, und rund zehn Jahre, bevor HD-Recording sich auf breiter Front durchzusetzen beginnt. Und nicht nur das: Die HDU ermöglicht sogar die unabhängige Kontrolle von Abspielgeschwindigkeit und Tonhöhe, bietet integrierte Effekte und Resampling und ist komplett MIDI-steuerbar.

Den Vogel schießt PPG aber mit dem Realizer ab, einem DSP-basierten System, das 1986 als Prototyp vorgestellt wird und die software-basierte Emulation beliebiger Synthesizer gestatten soll - wiederum über zehn Jahre, bevor virtuelle und software-basierte Synthesizer sich am Markt etablieren können. Der Realizer besteht aus einem Rack mit der DSP-Hardware und einem futuristisch gestalteten Pultgerät mit Bildschirm und frei zuweisbaren Bedienelementen. Ein Promo-Foto aus jener Zeit zeigt das Panel des Minimoog auf dem Realizer-Bildschirm, dessen Schaltkreise Palm in DSP-Code übersetzt hatte. Entsprechend sollten auch andere Syntheseformen, beispielsweise FM oder die hauseigene Wavetable-Synthese, mit dem Realizer verwirklicht werden können.

Der Realizer kam aber leider nie über das Prototypen-Stadium hinaus: Seine Entwicklung verschlang enorme Ressourcen und war zusammen mit dem Aufkommen des Kassenschlagers DX7 und erschwinglicherer Sampler wohl hauptverantwortlich dafür, dass PPG finanziell die Luft ausging. Ende 1987 stellte die innovative Firma ihre Geschäftstätigkeit ein.

Die Zeit nach PPG

[...]

Mit dem VST-Synthesizer PPG Wave 2.V stellt Waldorf nun eine Software-Nachbildung des Original-PPG-Wave vor. Der Reiz dieses PlugIns liegt neben dem authentischen Klangcharakter nicht zuletzt darin, dass es parametermäßig die gleiche Schlichtheit wie sein Vorbild bietet: Oberfläche und Parameterausstattung prägen die Klänge, die man mit einem Synthesizer erzeugt, maßgeblich mit. Und die authentischsten Wave-Sounds entstehen eben genau dann, wenn es keine Oszillatorsynchronisation, Frequenzmodulation, Multimodefilter und superflexible Modulationsmöglichkeiten gibt - weniger kann eben auch genug und manchmal sogar mehr sein.

Mit dem PlugIn-Synthesizer PPG Wave 2.V von Waldorf schließt sich ein Kreis: Es war Wolfgang Palm, der neben vielen anderen Dingen mit dem Realizer auch die Idee des virtuellen Synthesizers hatte. Nun gibt es sein erfolgreichstes Instrument in einer virtuellen Form - eine schöne Bestätigung für seine Realizer-Idee, die ihrer Zeit weit voraus war, und eine überaus begrüßenswerte Erinnerung an seine genialen und einzigartigen Entwicklungen.

Uwe G. Hoenig/ig

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Stand: 30.12.00